
Nachhaltigkeit, aber bitte mit ChatGPT – oder wie wir täglich unsere guten Vorsätze digital pulverisieren
- Sascha Lux
- 25. Mai
- 3 Min. Lesezeit
Du lebst nachhaltig.
Zumindest meistens.
Du kaufst deine Nudeln im Unverpacktladen, bringst deine eigene Tasse zum Coffee-to-go und weißt ganz genau, welche Avocados einen schlechten CO₂-Fußabdruck haben (Spoiler: alle).
Und natürlich trennst du deinen Müll in mehr Fraktionen als das EU-Parlament. Chapeau!
Aber dann… kommt ChatGPT.
Und plötzlich ist Schluss mit der grünen Seele – und zwar schneller, als dein E-Bike auf 25 km/h hochzieht.
Künstliche Intelligenz: Genial, aber kein Luftwesen
Versteh mich nicht falsch – ich nutze ChatGPT.
Sogar für diesen Artikel. Ganz bewusst.
Denn genau darum geht’s: Nicht darum, das Tool zu verteufeln, sondern es bewusst einzusetzen. Nicht jede Eingebung muss durch eine GPU gerendert werden, nur weil es geht. Denn was viele nicht wissen: Jeder Prompt, den du abschickst, verbraucht Strom. Und nicht zu knapp.
Eine einzige komplexe GPT-4-Anfrage kann so viel Strom ziehen wie eine energieeffiziente Waschmaschine – für einen vollen Waschgang.
Ja, du hast richtig gelesen. Während du dein Eco-Label-Hemd liebevoll bei 30 °C im Kurzprogramm drehst, weil dir die Umwelt am Herzen liegt, verbraucht dein “Formuliere bitte 10 LinkedIn-Posts über Achtsamkeit”-Prompt mindestens denselben Energiehunger – in wenigen Sekunden.
Und das ist nur eine Anfrage.
Was passiert wohl an einem produktiven Nachmittag, wenn du:
Fünf Blogartikel vorschreiben lässt,
dir acht verschiedene Headlines liefern lässt,
eine Struktur für dein neues E-Book testen willst,
und ChatGPT drei Versionen eines Dankschreibens formulieren lässt, obwohl du eh die erste nimmst?
Richtig. Dein ökologischer Fußabdruck hat sich gerade kurzerhand ein Paar High Heels angezogen.
Doppelmoral reloaded: Das grüne Selbstbild und die digitale Realität
Es ist faszinierend, wie viele Menschen im Alltag auf Nachhaltigkeit pochen, sich aber digital völlig unreflektiert verhalten.
Du verzichtest auf Fleisch, aber hast 40 Tabs mit KI-Texttools offen?
Du fliegst nicht mehr nach Mallorca, aber generierst mit KI Inhalte in einem Ausmaß, dass jedes Rechenzentrum nach Luft schnappt?
Ich sage nicht, du sollst auf ChatGPT verzichten. Wirklich nicht.
Aber vielleicht ist Prompt-Bewusstsein das neue Mülltrennen?
Statt alles rauszuhauen, was dir gerade so durch den Kopf schießt – wie wär’s mit:
„Muss ich diese Antwort wirklich von der KI holen?“
„Kann ich den Satz vielleicht doch selbst schreiben?“
„Muss es wirklich die zehnte Variation sein?“
Denn: Nachhaltigkeit beginnt nicht nur bei Verpackung und Verkehr – sondern auch beim digitalen Konsum.
Fazit: KI – Der neue Klimakiller in der Warteschleife?
Bisher galt: Künstliche Intelligenz ist ein Werkzeug – weder gut noch böse, sondern abhängig von ihrer Nutzung. Doch in Sachen Klimabilanz wird klar: KI ist nicht neutral – sie ist hungrig.
Allein ChatGPT verbrauchte im Jahr 2024 rund 226 Millionen Kilowattstunden Strom – genug, um über drei Millionen Elektroautos vollständig aufzuladen (Quelle: ingenieur.de).
Und das ist nur ein einzelner Dienst.
Die Internationale Energieagentur prognostiziert, dass sich der Stromverbrauch von Rechenzentren bis 2026 verdoppeln könnte – auf ein Niveau, das dem gesamten Energieverbrauch Japans entspricht.
Hinzu kommt der immense Wasserverbrauch: Für das Training von GPT-3 wurden schätzungsweise 5,4 Millionen Liter Wasser benötigt – hauptsächlich zur Kühlung der Rechenzentren.
Natürlich zeigt KI auch Potenzial für nachhaltige Innovation – in der Verkehrsplanung, in der Energieoptimierung, in der Medizin. Aber der Fußabdruck generativer KI-Modelle ist enorm, vor allem, wenn sie für unnötige oder redundante Aufgaben eingesetzt werden.
Also: Wenn du das nächste Mal überlegst, ob du eine einfache Frage selbst beantworten kannst oder ChatGPT bemühst – denk daran: Jede Anfrage zählt.
Ich tue es ja auch.
Aber bewusst.

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